In seiner Einzelausstellung "Adler des Todesmetalls" zeigt Henry Woller erstmals den fast kompletten ersten Teil seiner "Shooting-Grace-Serie.
Schön und edel gewandet, blickt uns Grace Kelly aus diesen Bildern an. Aber irgendetwas stimmt nicht. Das Setting ist karg, sie befindet sich in in einer blauen Mondlandschaft oder gleich in völliger Leere, ist nur auf sich selbst bezogen. Der Lärm der Welt prallt an der metallischen Härte ihrer Ikonenhafigkeit ab, ist nur Staffage für die Inszenierung melodramatischer Weltuntergangsszenarien. Die pittoreske Schlossruine am Ufer ist in Wahrheit ein Haus im zerbombten Alleppo, die tanzenden Gestalten in der orangen Hölle sind US-Polizisten, die von einem Vergeltung übenden Schwarzen beschossen werden. Grace ignoriert all das. Sie ist ein rotäugiger Zombie, eine gefühllose blonde Bestie, der man nur zu gerne die alleinige Schuld am drohenden Ende der Menschheit anlasten würde. Aus einer Ikone des Ideals weißer Hypernormativität , ethnisch, sozial, kulturell, sexuell, wird eine Ikone des Andersseins, der Weltflucht und des Amoralischen, ihr glamouröses Übermenschentum zu einem Emblem des Nichtidentischen. Das hochgeschraubte Selbstbild der Weißen verbindet sich mit dem Narzissmus des monadischen Künstlers zu einem unguten Amalgam, der blonde Narziss ist hier so sehr effeminiert, dass er tatsächlich zur Frau wird. Die passive Starre , in der die arische Göttin verharrt, verweist auf das Verharren der Statue in sich selbst, auf die Weigerung der Kunst, ihr Geheimnis preiszugeben.
Die Zitate und Anspielungen in Henry Wollers Bildern sind so vielschichtig, dass man sie auf den ersten Blick kaum erfassen kann. Sie erfordern eine geduldige und längere Betrachtung. So ist die Verwendung der in Anführungszeichen gesetzten Frakturschrift eine indirekte Reminiszenz an die Gruppe The Smiths und deren tragisch-ironische Plattencovers, aber auch an NS-Propagandaplakate und die von Jonathan Meese ausgerufene Diktatur der Kunst. Man könnte zunächst auch den reißerischen Ausstellungstitel für den eines Nazikriegsfilms über eine Staffel Bomberpiloten halten. Aber ist es nicht vielmehr eine Glorifizierung der zerstörerischen Kraft der Kunst, die sich wie ein Raubtier auf Ihr Material herabstürzt, um es zu zerfleischen und neues daraus zu formen? Ist es nicht das Selbstbild des (männlichen) Künstlers (man kann „Adler" ja auch im Singular lesen)? Dringen , durch die Rauchschwaden nach der Katastrophe des Terrors nicht schon die ersten blaßgelben Strahlen des Morgens?
Als Ergänzung/Korrektiv zu diesen Fragen, befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite ein großes schwarzes Quadrat, in dessen Mitte ein schlangenartiges Zwitterwesen im Schneidersitz in einer Corona schwebt und in das der Künstler das Gesicht Martin Luther Kings hineingemorpht hat.
In elegantes Galeristenschwarz gehüllt, lässt er seine kräftigen, aderdurchtränkten Arbeiterhände herabhängen, wie eine Drohung, wie das Symbol eines Potentials, das in Handeln, in Gewalt umschlagen könnte. Es Sind die Hände des Modeschöpfers Yves Saint-Laurent, der hier jedoch über seiner MLK-Maske den Haarschnitt der deutschen Schlagersängerin Alexandra trägt. Die Chimäre Martin/Yves/Alexandra ist das intersektionalistische Gespensterbild, welches uns an der Erkenntnis hindert, dass es möglicherweise um etwas ganz anderes geht. Die Figur ist nämlich nur ein Ausschnitt im Bild, der unseren Blick in eine nächtliche Parklandschaft führt, in der zwei Strichmännchen die große Allee überqueren .
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