Victor Gulchenko
Das Oeuvre des russischen Künstlers Victor Gulchenko setzt sich vornehmlich aus einer Kombination verschiedenartig strukturierter Bronzeskulpturen zusammen. Fein geschliffene Flächen versus rohes, unbearbeitetes Material: Der junge Bildhauer schafft ganze Welten aus Kleinplastiken, die oftmals eine heilige Symbolik und philosophische Themen aufweisen. Hier wird die Allegorie einer verlorenen Menschlichkeit geschrieben. Ich-Dissoziation und entzweite Welten treten aus dem Ungewissen hervor, befinden sich plötzlich mitten unter uns. Aus dem Kontext gerissene Heiligenfiguren finden sich in Gulchenkos Werk neben dunklen, bösartigen Gestalten aus Literatur und Geschichte wieder. Die Figuren sind ausdrucksstark und reflektieren die Emotionswelt des Künstlers.

Das Gesamtwerk des Künstlers reicht von Mephisto, Engeln und Weisen, über die heiligen drei Könige bis hin zur entblößten Frau in einem Boot, die ihre Augen vor der Welt verschließt. In den Plastiken verkehren sich christliche Mythen in ihr Gegenteil, werden von Gulchenko ad absurdum geführt. So Mephisto die spitzen teuflischen Glieder in einer vermenschlichten Pose. Mephisto sitzt, die Arme verschränkt, mit schwerer Mimik auf einem Stuhl, geformt aus seinem eigenen Frack und erinnert an die verborgene Seite eines jeden Individuums. Ob Gulchenkos Maske des Henkers oder die Figur eines Mannes ohne Kopf: die Abgründe der Menschheit öffnen sich und treten in den Plastiken dem Betrachter entgegen.

Das Werk Mensch-Kommode erinnert in Zügen an Edvard Munchs „Der Schrei", nur ist dieser längst verstummt. Der Mensch blickt in den Spiegel und findet nicht länger sein eigenes Spiegelbild. Stattdessen tritt das Gegenüber aus dem Spiegel hinaus. Es steigt aus, hält gesellschaftlichen Zwängen nicht länger stand. Gulchenko widmet sich hier dem Themenkomplex der Metamorphose entrückter Identität. Das Vertraute kann nicht länger aufrechterhalten werden.

Den dunklen Widersachern stellt Gulchenko heilige Ikonografien gegenüber. So bildet die Skulptur Die heiligen drei Könige in ihrer zart-massiven Verarbeitung ein positives Gegengewicht zur vorherrschenden Melancholie und Schwere. Die Ikonografien erscheinen dabei nicht vollkommen, sondern vielmehr fehlbar und gebrechlich. Dennoch lässt die Skulptur Auf der Bank einen sanften heiligen Anklang in die triste Welt durchschimmern. Der einst prunkvolle Engel erinnert zwar an einen Gefallenen, er trägt jedoch seine Bürde mit Fassung. Trotz nur eines Flügels streckt er diesen ganz gewöhnlich über die Lehne einer Parkbank aus, als wolle er eine Liebende in der nächsten Sekunde umarmen. Gulchenkos Figur birgt auf diese Weise ein Zeichen von Hoffnung in sich.



Victor Gulchenko lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.